Archipel de Cabreras
Auszug aus meinem gerade veröffentlichten Buch „1000 Meilen segeln in den Balearen"
Es ist sechs Uhr, wir sind hellwach. Ein schneller Kaffee auf dem Achterdeck und der Tag beginnt heute recht früh. Mit dem Dingi tuckern wir an Land, damit Timmy noch einmal alles Notwendige erledigen kann. Kurze Zeit später gehen wir Anker auf, stecken den neuen Kurs mit 220° ab, in Richtung der Insel Cabrera, die mit 17 weiteren kleineren bis kleinsten Inseln den Nationalpark des Cabrera-Archipels bildet. Ohne offizielle Genehmigung ist das Anlaufen und Übernachten an einer Festmacheboje nicht erlaubt. In Porto Cristo ist es uns, via Internet, gelungen, für zwei Tage eine Boje zu reservieren. Ein Glücksfall, ohne Zweifel, denn die auf den Balearen, insbesondere die auf Mallorca agierenden Yachtvercharterer, werben in ihren Prospekten mit vorgebuchten Bojenplätzen in der geschützten Lagune von Cabrera. Da die Reservierung zurzeit noch kostenlos ist, gehen Charterfirmen keinerlei Risiko ein. Ob ihre Kunden dann auch tatsächlich Cabrera anlaufen, ist allen Beteiligten egal. In der Haupt-Chartersaison passiert es so gut wie täglich, dass die Festmachebojen im Archipel ausgebucht sind, aber dennoch viele nicht genutzt werden. Zum großen Ärger bleiben diese dann gesperrt, insbesondere für alle privaten Eigner.
Rund 30 Seemeilen liegen heute vor unserem Bug, um die Einfahrt in die Lagune zu erreichen. Der Wind ist sehr mäßig und weht unbeständig aus Südost, jedoch mit zu wenig Kraft um unter Segeln eine annehmbare Geschwindigkeit zu fahren. Die Maschine muss nun wieder ihren Dienst aufnehmen. Mit einer geringen Drehzahl lassen wir sie arbeiten.
Bei nun fünf Knoten über Grund gleiten wir entlang der Ostküste Mallorcas, vorbei an den, insbesondere bei Seglern, bekannten Calas. Nach etwa einer Stunde Fahrt, gegen 8.00 Uhr haben wir den schwarz-weiß geringelten Leuchtturm von Porto Colom an unserer Steuerbordseite. Es folgen die Häfen von Cala d‘ Or, Portopetro und Cala Figuera.
Kurz vor Mittag sehen wir das Leuchtfeuer des Cabo Salinas, das auf einer meist mit Pinienwäldern bewachsenen flachen Ebene, die Südspitze Mallorcas bildet. Schon mehr als zehn Jahre vor dem Wechsel ins neue Jahrtausend wurde dieses Leuchtfeuer mit einer umweltschonenden Solarenergie ausgerüstet.
Zwischen der zum Archipel der Cabreras gehörenden Illa des Conejera und der Hauptinsel Cabrera segeln wir in die Inselwelt des Nationalparks ein. Wilde, alles fressende Ziegen (spanisch: cabra) haben für die sehr karge und fast lebensfeindliche Beschaffenheit der Inseln gesorgt und wurden so zum Namensgeber der mit etwa 16 Quadratkilometer größten und einzigen bewohnten Insel des Archipels. Ziegen sucht man heute allerdings vergeblich. Sie würden das heute herrschende, jedoch empfindliche Ökosystem, sicherlich zusammenbrechen lassen. Andere Lebewesen haben sich hier über Jahrhunderte erhalten oder sind hier ansässig geworden. Einige fallen unter den Begriff endemisch, was erklärt, dass sie nur hier vorkommen. Die schwarzen Eidechsen gehören dazu und dominieren überdeutlich die Insel Fauna.
Nachdem wir die etwa 300 m breite, für uns erst spät sichtbare Einfahrt mit der auf der linken Seite hoch oben thronenden Kastell-Ruine durchfahren haben, öffnet sich die weitläufige und geschützte Bucht des Puerto de Cabrera. Die gebuchte Festmacheboje finden wir sofort. Sie befindet sich im südwestlichen Teil des Bojenfeld, was uns noch entgegen kommen soll.
Bei uns an Bord steht nun ein nicht unerhebliches Problem zur Lösung an. Auf dieser Insel dürfen keine Hunde an Land gehen, was uns von einer Reise hierher immer abgehalten hat. Wie bringen wir diese unumgängliche Anordnung nur unserem momentanen hyperaktiven Fellmann bei?
Diese Vorschrift beschränkt unseren Aufenthalt auf dieser Insel, da Timmy natürlich seinen Freilauf benötigt. In der uns verbleibenden Zeit wollen wir zudem auch noch möglichst viel von der Insel sehen.
Unser Programm ist ambitioniert. Ein Aufstieg zum Kastell und von dort den Panoramablick über die Bucht und auf unser Schiff genießen, in der kleinen Cantina am Anleger, mit dem Flair der Einfachheit, einen Drink nehmen, eine Wanderung über Teile der Insel anzugehen und das Museum mit dem Franzosendenkmal besuchen. Das muss erst einmal geschafft werden. Ein strammes Pensum liegt vor uns.
Timmy scheint die ganze, für ihn unangenehme Situation nicht zu verstehen. Er pocht massiv auf sein Recht nun zu einem Landgang aufzubrechen. Irgendwie muss ich eine Lösung finden, dass er heimlich, für eine kurze Zeit, einen Abstecher ans Ufer machen kann. Die Park Ranger dürfen davon jedoch nichts erfahren, der Ärger mit der offiziellen Verwaltung wäre uns dann sicher.
Die Sonne ist längst untergegangen und über die Bucht von Cabrera liegt eine entspannte Abendstimmung. Einige Dingis sind knatternd in Richtung der Cantina unterwegs, andere von dort kommend auf der Rückfahrt zu ihren Schiffen. Die ersten Lichter sind auf den etwa 30 Yachten auszumachen. Der nicht gut einsehbare Bereich unserer Festmacheboje kommt uns nun sehr recht und das Personal hat hoffentlich Feierabend. Ich nehme Timmy, entgegen der Vorschrift, mit in das Dingi und rudere die wenigen Meter bis zum Ufer. Auf den Einsatz des Motors verzichte ich, damit nicht schon von weitem meine Absicht zu erkennen ist. Angekommen verschwinde ich mit ihm schnell im leicht bewaldeten Gebiet. Was tut man nicht alles für seinen Bordhund. Man darf uns nur nicht erwischen. Am frühen Morgen mache ich mit Timmy noch einmal den gleichen Weg, bevor wir nun unser heutiges, strammes Insel-Besichtigungsprogramm beginnen.
Ein steil nach oben strebender, staubiger Geröllweg führt uns zum Kastell. Die schwarzen Cabrera Eidechsen huschen fluchtartig vor unseren Füßen, quer über den holprigen Pfad. Man tritt fast auf die an der Unterseite metallic blau schimmernden Reptilien. Vorbei an dem alten, verwilderten Seemannsfriedhof durchschreiten wir eine Maueröffnung des Kalksandstein-Gemäuers der aus dem 14. Jahrhundert stammenden und einst von der Krone aus Aragon errichteten heutigen Burgruine. Eine Platzangst auslösende, steinerne Wendeltreppe, die das Betreten nur für Personen mit einem geringen Body-Maß-Index vorsieht, führt uns zunächst durch völlige Dunkelheit auf die erste Ebene der Burg. Über weitere, außen liegenden Stufen, erreichen wir den höchsten Punkt der Ruine, auf dem stolz die Spanische Nationale im Wind weht. Schweißgebadet oben angekommen ringen wir nach Luft. Den Blick gen Süden gerichtet, hinunter in die Bucht mit ihrem tiefblauem Wasser, sehen wir unser Schiff schwimmen, in deren Kajüte der wohl schmollende Bordhund auf unsere Rückkehr wartet. Die Gegenrichtung, im Nordosten, gibt die Sicht auf die Küste Mallorcas frei. Diese Rundum-Aussicht ist die Mühe des Aufstieges wert.
Hinunter, zurück zum kleinen Hafen, ist der Fußweg einfacher zu bewältigen. Dort befindet sich auch die kleine, frugale und einzige Bar der Insel, Cantina genannt. Bevor wir in den südlichen Teil der Bucht aufbrechen, genehmigen wir uns hier, auf der strohgedeckten Terrasse, einen Café con hielo, einen Kaffee mit Eis, der den Durst ungemein löscht. Man kann sich dem Gefühl nicht erwehren, in der spartanischen Atmosphäre und dem vorbeiführenden staubigen Weg, fast ein wenig wie auf einer Saloon-Veranda im wilden amerikanischen Westen zu sein. Hunde, die wohl zu den hier wohnenden Familien gehören, laufen über den unbefestigten Vorplatz und begrüßen die ankommenden Dingis. Warum Timmy nicht mit hierher darf, erschließt sich uns nicht.
Nur eine kurze Pause soll es sein, wir wollen ja noch bis zum Museum laufen. Der Weg ist nicht weit. Es ist Mittag, als wir am Es Celler ankommen. Auf Cabrera wurde früher Wein angebaut und in diesem Gebäude verarbeitet. Der Säureanteil soll sehr hoch gewesen sein, was nicht gerade zu einem nennenswerten Umsatz beitrug. Heute ist dort das ethnografische Museum beheimatet, das Gegenstände aus den letzten 200 Jahren zeigt. Ebenfalls thematisiert wird hier und an dem in direkter Nähe befindlichen Denkmal der Überlebenskampf französischer Kriegsgefangener.
An dieser Stelle offenbart sich die dunkle Geschichte Cabreras. Zwischen 1809 und 1811 brachte die spanische Krone, während des Unabhängigkeitskrieges gegen Napoleon, über 9.000 Gefangene hierher und überließ sie ohne Versorgung ihrem Schicksal. Hunger, Durst und Krankheiten rafften die meisten dahin. Nur 3.600 überlebten. Die wenigsten Besucher dieses Ortes wissen, dass 134 deutsche Männer vom Regiment Anhalt, die von Napoleon gezwungen wurden, unter der französischen Fahne zu kämpfen, am 14. September 1810, im südspanischen Bailén in Gefangenschaft gerieten und nach Cabrera deportiert wurden. Davon starben dort 29 unter erbärmlichen Bedingungen. Die überlebenden 105 Männer nahmen am 11. Januar 1812 einen Generalpardon an und kämpften an der Seite des spanischen Volkes gegen die französische Tyrannei bis zu deren Niederlage im April 1814. Nur 35 sahen ihre deutsche Heimat wieder.
Mehr als 100 Jahre später wurde Cabrera wiederum zum Politikum. Der spanische Diktator Franco schaffte heimlich große Mengen Penicillin nach Cabrera, das dann von deutschen U-Booten unauffällig übernommen wurde. Die Alliierten sollten nicht mitbekommen, dass Spanien, Nazi-Deutschland mit wichtiger Medizin versorgt.
Auf dem Weg zum Hafen, zu unserem Dingi, kommen wir wieder an der Cantina vorbei. Hier ist es jedoch mit der Beschaulichkeit und Ruhe vorbei. Schiffe mit Tagesausflüglern, von der Insel Mallorca, haben die Cantina, das Kastell und die ersten paar hundert Meter des Uferpfades lebhaft erobert und überlagern so für kurze Zeit den besonderen Reiz dieses abgeschiedenen Ortes.
Wieder zurück auf unserem Schiff erwartet uns ein großes Hallo. Als ob wir für Wochen nicht mehr an Bord gewesen wären, empfängt uns unser kleiner Matrose mit einer unbändigen Freude. Zu seinem Glück setzt langsam die Abenddämmerung ein, sodass ich unter deren Schutz mit Timmy wieder an Land fahren kann.
Früh lösen wir die Leine an der Festmacheboje. Die Sonne hat die Bucht von Cabrera noch nicht erreicht, als wir die Ausfahrt mit der über alles erhabenen Burgruine passieren.
Geplant hatten wir hier auf Cabrera noch einen Besuch der Cova Blava, die blaue Höhle. Sie ist an der Nordseite, in der Cala Gandulf, vom Meer aus direkt an Backbord zu finden und zu bestaunen. Reflexionen im Wasser der Grotte erzeugen eine Inszenierung aus Licht und Farben in allen Blautönen. Das unübertreffliche Curacao-Blau ist die vorherrschende Blautönung des Wassers. Da dieses Erlebnis in seiner perfekten Farbgestaltung nur gegen Mittag, wenn die Sonne hoch am Himmel steht, zu erleben ist, verschieben wir diesen Ausflug auf unseren nächsten Besuch.